Anna M. (Namen alle geändert) ist mit 39 Jahren Vollrentnerin und somit aus dem Erwerbsleben ausgesteuert. Aufgrund ihrer Glasknochenkrankheit, heißt es im ärztlichen Gutachten, sei es ihr nicht möglich, über drei Stunden am Tag eine wie auch immer geartete Tätigkeit auszuüben. Die ehemalige Buchhändlerin kann hinzuverdienen, doch in ihrem Fall ist ihr körperliche Arbeit untersagt. Um ihre Erwerbsunfähigkeits-Rente nicht zu gefährden, arbeitet Anne jetzt stundenweise ehrenamtlich in der Bücherei ihrer Kirchengemeinde. Anna M. ist vergrämt, weil ihre Belastungserprobung in der medizinischen Reha negativ verlief. Achim S. hat es hingegen geschafft: Er arbeitet wieder, allerdings unter anderen Voraussetzungen als früher. Der ehemalige Berufsschullehrer erkrankte psychisch. Aufgrund psychotischer Schübe konnte er nicht mehr unterrichten und ging in die Langzeittherapie. In der medizinischen Reha erkannte er schließlich sein immer noch vorhandenes handwerkliches Potential und machte ein Praktikum in einem Druckereibetrieb, in dem er heute fest angestellt arbeitet.
Die Wege der beruflichen Rehabilitation nach körperlicher oder psychischer Erkrankung sind nicht immer gerecht, und sie sind nicht einfach. Die herausfallen, weil sie nicht belastbar sind, erhalten häufig nur geringe Renten, die sie durch schlecht bezahlte Zuverdienste aufbessern müssen, sofern sie dies überhaupt können. Für die Mehrheit der Menschen lohnt sich jedoch der Weg: 83 Prozent aller Rehabilitanden nach Unfällen, Krankheitsschüben und Burn Outs schaffen der Deutschen Rentenversicherung Bund zufolge die Rückkehr in den Beruf. Dies ist eine deutlich höhere Erwerbsquote als bei den von Geburt an behinderten Jugendlichen, die in den Ausbildungswerken qualifiziert werden. Von ihnen schaffen immerhin noch 68 Prozent den Sprung ins Berufsleben. Die es nicht „schaffen“, beziehen auch hier Renten, viele arbeiten in Werkstätten. Dieses System der Selektion ist sicherlich verbesserungswürdig. Doch medizinische und berufliche Reha hilft an sich, soziale Ausgrenzung und Armut durch Krankheit und Behinderung zu mindern. Ob „erfolgreich“ oder „nicht erfolgreich“ - Die medizinische und die daran anschließende berufliche Reha, die „Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben“, tragen dazu bei, Menschen, die Krankheiten oder Schicksalsschläge erlitten haben, dazu befähigen, wieder selbstbestimmt zu leben und zu arbeiten.
Dies tut unser Rentenversicherungssystem durchaus nicht uneigennützig. Deutschland altert, und immer mehr Beschäftigte sind ausgebrannt und durch Krankheiten ausgebremst. Gleichzeitig herrscht in vielen Bereichen Fachkräftemangel. Somit wächst der Markt für die berufliche Rehabilitation, gerade der aus dem Berufsleben gefallenen. Sie gehört zu den durch den Sozialabbau Gott sei dank am wenigen berührten Grundpfeilern des Sozialstaats Deutschland.13 Milliarden Euro jährlich bringen die vier großen Reha-Träger – Deutsche Rentenversicherung, Gesetzliche Krankenversicherung, Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung und die Bundesagentur für Arbeit – für Rehabilitanden auf. Und dies mit dem benannten Erfolg: 8 von 10 Rehabilitanden stehen laut Statistik der Deutschen Rentenversicherung Bund innerhalb von zwei Jahren nach ihrer medizinischen Rehabilitation wieder im Erwerbsleben. Die so gewonnenen Berufsjahre und reduzierten Arbeitsunfähigkeitstage sparen der Volkswirtschaft nach wissenschaftlichen Untersuchungen Milliarden an Renten-, Arbeitslosen- und Krankengeldzahlungen. So rechnet sich die Rehabilitation, sie sichert laut Aussage der Versicherer und der Arbeitsagentur Arbeitsplätze, erhält den Betrieben Know-how und dringend benötigte Fachkräfte.
Manchmal liegt die Wahrheit sicherlich dazwischen, wie im Fall von Peter H. Der langjährige Krankenpfleger und Freizeitdiakon, Vater von zwei Kindern und Marathon-Läufer, war anerkanntes Mitglied seiner Gemeinde, bis seine Eltern pflegebedürftig wurden. Die Familie beschloss, sie nicht ins Heim zu geben, sondern bei sich aufzunehmen. Peters H.´s Frau wollte ihre Teilzeitstelle im Kindergarten trotzdem behalten. Peter H. versorgte die Eltern mit, ging arbeiten, trainierte, widmete sich Frau und Kindern und betreute am Wochenende Gemeindemitglieder - bis er zusammenbrach und nicht mehr ansprechbar war. Seiner Burnout-Diagnose folgte ein zweijähriger Überlebenskampf zwischen Krankheit, Therapie, Anträgen und Gutachten. Schließlich kam Peter für 8 Wochen in die stationäre medizinische Reha, wo ein frühkindliches Trauma erkannt wurde. Er war durch seine Eltern auf Hochleistung programmiert wurden, da diese ihre Rettung vor der nationalsozialistischen Verfolgung wie eine Gottesgabe betrachteten und ihn einimpften, er solle dies wiedergutmachen. Peter arbeitete einzel- und gruppentherapeutisch an seinen Verstrickungen und gewann schließlich an Lebensmut. Aus der Reha entlassen, ging er wieder seinem Beruf als Pfleger im Schichtdienst nach. Die Arbeit als Diakon gab er auf. Doch er hielt den beruflichen Belastungen nicht stand und erkrankte erneut. Diesmal durchlief er eine Feststellungsmaßnahme. Der Gutachter diagnostizierte eine Erwerbsminderung für die Dauer von mindestens zwei Jahren. Peter erhält Teilerwerbsrente. Er arbeitet in Teilzeit als Hausmeister und hofft, später wieder leistungsfähiger zu sein. Seine Pflegetätigkeit musste er aufgeben.
Wie verhält es sich mit dem Recht zur Teilhabe am Arbeitsleben? Die Paragraphen 33 folgende des Sozialgesetzbuches IX sehen Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes, die berufliche Aus- und Weiterbildung von Menschen in der Rehabilitation sowie sofern erforderlich Mobilitätshilfen vor. Diese Leistungen werden, sofern die Kranken- oder Rentenversicherung, die Berufsgenossenschaft oder im Ausnahmefall die Agenturen für Arbeit dies bewilligen, für die Dauer von bis zu zwei Jahren erbracht.
Die zweijährige Förderung bleibt hierbei die Ausnahme. Sie wird in medizinisch-beruflichen Fördereinrichtungen wie beim Projekt Ex+Job im niedersächsischen Wunstorf durchgeführt. Hier wird in einer medizinischen Reha-Phase Menschen mit erhöhtem psychosozialem Betreuungsbedarf eine niedrigschwellige Berufsintegration vermittelt. Sie arbeiten in hauseigenen Projektbereichen, etwa einem Gebrauchtmöbelkaufhaus.Begleitend werden sie einzeln und in Gruppen medizinisch und therapeutisch begleitet, um die Belastungserprobung abzusichern und eingeübte Fertigkeiten zu stabilisieren. In der beruflichen Reha-Phase gehen die Rehabilitanden dann in auswärtige Praktika ihrer Wahl mit dem Ziel, langfristig eine Tätigkeit und einen Arbeitsplatz zu finden. Einen anderen Weg geht die ambulante medizinisch-berufliche Reha. Hier finden, wie bei BetaReha in Hannover, in der Einrichtung selbst nur das Mentoring und Gruppensitzungen statt. Die Praktika werden, nach einer kurzen Einführungsphase, extern abgeleistet.
Bei beiden Konzepten gilt: Ist der Rehabilitand belastbar, kommt er in berufliche Reha. Sehen Betreuer und Gutachter jedoch auch mittelfristig keine Belastbarkeit des Menschen über 6 Stunden, kann eine Teilerwerbsrente beantragt werden, bei Belastbarkeit unter 3 Stunden die volle Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Hierbei geht es dann häufig nicht mehr um den Tätigkeitsradius, der eh eingeschränkt ist. So können psychisch Erkrankte kaum je wieder in Erziehung und Pflege arbeiten. Es geht um die allgemein herabgesetzte Belastbarkeit, die den Bewerber auf dem Arbeitsmarkt aussteuert. Schulsekretärin Hilde K. konnte beispielsweise trotz erfolgreich beendeter Rehabilitation nur noch stundenweise arbeiten, sie bekam bei Überbelastung Migräneanfälle und Schlafstörungen. Mit 20 Arbeitsstunden in der Woche kommt sie nun zurecht.
Menschen, die schnell auf die Beine kommen, durchlaufen nach dem Klinikaufenthalt und einer eventuellen Nachsorge die verkürzte berufliche Reha. Außer Menschen mit Herz- Kreislauf-Erkrankungen sind dies häufig auch psychisch belastete Rehabilitanden, die durch Entlassung oder Betriebsschließung aus einer langjährigen Berufstätigkeit gerissen wurden und die daraufhin Depressionen und Anpassungsstörungen entwickelten. Sie sollen innerhalb von drei bis sechs Monaten wieder Arbeit finden, wobei es auch hier unterschiedliche Maßnahmeprogramme gibt. Während das „avanti!“-Projekt in Hannover auf Bewerbungstraining und begleitete Praktika setzt, bietet das Projekt Integra in Schaumburg/Niedersachsen ähnlich wie Ex+Job eigene berufliche Trainingsbereiche. In einigen Fällen werden, besonders bei jüngeren Bewerberinnen und Bewerbern, auch Umschulungen finanziert.
Ob die Rehabilitanden ihre Chance nutzen können, liegt am geeigneten Projekt, an der ärztlichen Betreuung, an ihrer Eigenständigkeit und nicht zuletzt am „Vorbau“, den sie mitbringen. Wer offen für den Umgang mit anderen ist und sich in neue Situationen hineinfinden kann, hat es, unabhängig von seiner Qualifikation, leichter als Eigenbrötler, so ein Projektleiter. Und der Wille kann bekanntlich Berge versetzen, wie im Fall von Jürgen K. Der Filialleiter einer bekannten Systemgastronomiekette fiel nach betrieblichem Mobbing voll durch alle beruflichen und privaten Roste. Er bekam Schlafstörungen und ein Erschöpfungssyndrom, seine Ehe wurde geschieden. Schließlich kam er in ein Betreuungsprojekt und von dort aus in die Reha. Eine 70-prozentige Schwerbehinderung wurde festgestellt. In der Eingangsberatung zur medizinischen Reha prophezeihte man ihm die Erwerbsunfähigkeit, doch Jürgen K. blieb zäh und durchlief mehrere Praktika. Durch persönliche Kontakte nahm er die Verbindung zu seinem ehemaligen Arbeitgeber auf. Die Imbiss-Kette beschäftigte ihn zunächst als Praktikanten, dann mit Lohnkostenzuschuss über zwei Jahre auf Zeit und zum Schluss wieder als festen Mitarbeiter. Heute, nach acht Jahren, ist er wieder Franchisenehmer und Vorgesetzter von 20 Mitarbeitern. Einen Praktikanten aus der Reha einzustellen kommt für ihn selbst allerdings nicht in Frage, denn er weiß um die Höhe der Belastungen.
Wie kommt ein Arbeitnehmer in die Reha? Wer nicht schon durch Unfall oder Krankheit ausgesteuert ist, aber schwere körperliche oder seelische Beschwerden hat, sollte nicht zögern, seinen Arzt nach einer Rehabilitation zu fragen. Mit seiner Hilfe stellt der Patient den Reha-Antrag an die zuständige Renten- oder Krankenversicherung. Wer im jeweiligen Falle Ansprechpartner ist, kann auch bei der örtlichen Servicestelle des Renten- oder Krankenversicherers erfragt werden. - Mit dem Antrag sollten alle vorhandenen ärztlichen und fachärztlichen Gutachten und Berichte abgegeben werden. Mit etwas Glück erfolgt dann nach geraumer Zeit die Bewilligung für eine stationäre, meist 6-wöchige, Reha-Kur. Ein Reha-Kuraufenthalt ist im Regelfall Voraussetzung für die berufliche Rehabilitation, die, sofern vorhanden, am Arbeitsplatz, in wohnortnahen Projekten wie den beschriebenen oder im Ausnahmefall in Behindertenwerkstätten erfolgen kann. Sofern die Kurklinik im Entlassungsbericht die Berufsunfähigkeit feststellt, wird sie auch eine Empfehlung für die Teilnahme an einer Nachsorge und einer Berufsrehabilitation abgeben.
Es liegt nun in der Hand des berufsunfähig Entlassenen, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu beantragen. Hierbei helfen jedoch die Sozialdienste der Kliniken, die Krankenkassen und die Maßnahmeträger der Reha. Wer mit der komplexen Antragstellung überfordert ist, kann für 5 Euro Mindestbeitrag dem Sozialverband Deutschland e.V. beitreten. Dieser hilft auch im Fall von Antragsablehnungen bei der Begründung von Widersprüchen.
Das Reha-Verfahren ist lang, sein Ausgang, wie in den beschriebenen Fällen, für die Antragsteller und Rehabilitanden nicht immer wunschgemäß. Menschen, die die Teilhabe am Arbeitsleben beantragen, haben jedoch nichts zu verlieren und sehr viel zu gewinnen. Und so ungerecht die gutachterliche Beurteilung in manchen Fällen auch scheinen mag, so gerecht spiegelt sie doch leider meist die Realität: Anna hat dies bei Ihrer Bibliotheksarbeit gemerkt. Sie ist nicht durchgehend leistungsfähig, Schmerzen und Einschränkungen setzen Ihr beim Arbeiten zu. So hat Sie Ihren festen Dienst abgegeben. Immer wenn Sie kann, kommt Sie zum Bibliographieren hinzu. Als ehrenamtliche Mitarbeiterin und durch Ihre Rente abgesichert, kann sie dies. (don)
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